Change Management – Vertrieb: Veränderungsprozesse wirksam managen
Der digitale Wandel erzeugt Veränderungsdruck im Vertrieb. Systematisches Change Management hilft dabei, die Strukturen, Prozesse und Geschäftsmodelle nachhaltig an die neuen Bedingungen anzupassen. „Jeder, der behauptet, dass Gruppen von Menschen ihr Verhalten leicht verändern können, ist entweder ein Lügner, ein Unternehmensberater oder beides.“ Dieses Zitat von 1997 aus der britischen Wochenzeitung „The Economist“ ist heute vielleicht sogar aktueller als zu seiner Veröffentlichung! In einer globalisierten VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), die durch immer schnelleren Wandel geprägt ist, überfordert der ständige Veränderungsdruck viele Menschen. Seit einigen Jahren verschärft die digitale Transformation diese Situation weiter und schürt Unsicherheiten und Zukunftsängste. Der Vertrieb bildet dabei keine Ausnahme. Denn auch hier wächst der Wettbewerbs- und Preisdruck weiter. Neue Technologien verändern bisherige Abläufe und elektronische Vertriebswege gewinnen immer mehr an Bedeutung. Herausforderungen und Veränderungsdruck im Vertrieb Vor allem aber verändert sich die Rolle des Kunden: Er ist heute der neue Experte. Daher erwartet und braucht er von uns als Verkäufern eine qualifiziertere Ansprache als früher. Der Kunde von heute stellt kritischere Fragen, und hat neue Kriterien, nach denen er etnscheidet. So will er sich etwa mit dem Unternehmen, dessen Produkte er kauft, identifizieren können. Verkaufen geht heute anders – darauf müssen sich Vertriebsorganisationen einstellen. Allerdings sind gerade im Vertrieb Widerstände gegen Veränderungen oft größer als in anderen Abteilungen. Denn Verkäufer arbeiten an der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Markt – und damit in einem Spannungsfeld zwischen internen und externen Anforderungen, die nicht nur hochdynamisch sind, sondern sich oft auch widersprechen. Angesichts dieser Komplexität werden Initiativen zur Veränderung des Status quo von Verkäufern regelmäßig als ein Angriff auf persönliche Freiräume und tradierte vertriebliche Erfolgsmuster (miss-)verstanden. Vertriebsteams empfinden die temporäre Verlangsamung, verursacht durch die notwendige Anpassung an veränderte Strukturen, als Bremsklotz für den Verkaufserfolg. Aber auch als Gefahr für die Kundenzufriedenheit. Außerdem ist der Vertrieb, der oftmals noch immer als operativ-ausführende Abteilung wahrgenommen wird, häufig nicht ausreichend oder auch rechtzeitig in unternehmensweite Veränderungsprozesse eingebunden. Entsprechende Initiativen werden dann schnell als „von oben“ aufoktroyiert wahrgenommen. Damit ist das wirksame Management von Veränderungsprozessen (also Change Management) als eigenständige Herausforderung für die Führung von Vertriebsorganisationen zu sehen. Es gilt dabei, durch die stetige Anpassung von Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Ängste abbaut und die Chancen in den Vordergrund stellt. Aber: Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien belegt, dass zwischen 60 und 80 Prozent aller Change-Management-Projekte die Erwartungen enttäuschen oder gar scheitern. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von der Unterschätzung der Faktoren Zeit und Veränderungswiderstand über fehlende Ressourcen und mangelndes Prozessverständnis bis zum Einfluss einer häufig schwer zu fassenden Unternehmenskultur oder feh- lender Vorbildfunktion der Führungskräfte. Change Management ist ein Klassiker Die gute Nachricht lautet: Wer es besser machen will und nach wirksamen Konzepten für den erfolgreichen Wandel von Vertriebsorganisationen sucht, wird schnell fündig. Denn auch wenn es sich im Vertrieb noch nicht überall her- umgesprochen haben mag: Change Management ist ein Klassiker in der Betriebswirtschaftslehre und Managementforschung. Schon in den 1930ern zeigte die berühmte Hawthorne-Studie, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht nur vom objektiven Arbeitsumfeld, sondern insbesondere auch durch soziale Rahmenbedingungen, wie der kollegialen Gruppenbeziehung oder dem Führungsstil der Vorgesetzten, beeinflusst wird – und leitete so das Ende des berüchtigten Taylorismus ein. Modern ausgedrückt heißt das: Veränderungen sind „People Business“! Im Zuge der einsetzenden Human-Relations-Bewegung erkannte der Soziologe Kurt Lewin 1947, dass es in Organisationen Kräfte gibt, die Veränderungen vorantreiben („driving forces“) und andere, die den Wandel zu verhindern suchen („restraining forces“), weil sie denken, dass diese Veränderungen bislang Stabiles gefährden oder Gewohntes stören. Nach Lewin sind diese Kräfte in der Regel gleich groß und damit im Gleichgewicht. Um eine Veränderung herbeizuführen, muss man demnach die „driving forces“ verstärken und die „restraining forces“ verringern. Die Treiber müssen stark genug sein, um den Veränderungsprozess erfolgreich durch drei Phasen zu tragen: Organisationsstrukturen sind demnach zunächst aufzutauen („unfreezing“), dann zu verändern („changing“) und schließlich wieder zu stabilisieren („refreezing“). Organisationsentwicklung als ganzheitlicher Ansatz Eine Kritik am Change Modell von Lewin zielt auf dessen Paradigma eines Gleichgewichts und den Versuch, Organi- sationen auf einen neuen „festen“ Zielzustand zu entwickeln – den es im hochdynamischen 21. Jahrhundert so nicht mehr gebe, da Wandel heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sei. Allerdings lässt sich dem entgegenhalten, dass soziale Systeme regelmäßige Phasen der Konsolidierung benötigen, um nicht funktionsuntüchtig und unproduktiv zu werden. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die dreiteilige Modellierung Lewins bis heute den meisten Konzepten zum Change Management zugrunde liegt. Sie besagen letztlich: Organisationaler Wandel ist gestalt- und planbar – auch im Vertrieb. So entstand auf dieser Basis in Kombination mit der Systemtheorie, die Organisationen als offene Systeme versteht, in den 1960er-Jahren der Ansatz der Organisationsentwicklung – ein langfristig angelegter, ganzheitlicher und humanistischer Entwicklungs- und Veränderungsprozess von Organisationen und der in ihnen tätigen Menschen. Diese tragen hierbei den Wandel selbst („Betroffene zu Beteiligten machen“) und bestimmen mit Hilfe von internen und externen Prozessberatern („Change Agents“) den Inhalt der Veränderungsprozesse („Hilfe zur Selbsthilfe“). So genannte „weiche“ Faktoren stehen im Mittelpunkt: Mehr Beteiligung und höhere Motivation sollen zu gesteigerter Produktivität der Organisation und verstärkter Zufriedenheit der Mitarbeiter und damit zu individuellem und organisationalem Wachstum führen – der Begriff der „lernenden Organisation“ entstand. Aus der primär sozialpsychologischen bzw. gruppendynamischen Sicht der Organisationsentwicklung sind Führungskräfte in erster Linie Coaches und Berater, die Veränderungsprozesse begleiten, die sich von innen nach außen („inside-out“) und tendenziell von unten nach oben („bottom-up“) entwickeln. Dafür muss aber jeder einzelne Mitarbeiter zur Veränderung bereit sein. Spätestens hier werden dem Praktiker eine gewisse Naivität gegenüber betrieblichen Realitäten sowie eine etwas esoterische Verklärung dieser Prozesse auffallen. Tatsächlich sind die Interessen von Unternehmen, Mitarbeitern und Führungskräften selten deckungsgleich und die Machtverhältnisse häufig unausgewogen. Das Fehlen einer zentralen Prozessvorgabe in Kombination mit ausschließlich moderierenden Führungskräften kann zu unkoordinierten und wenig effektiven Selbstfindungsaktivitäten führen und so den Wandel verhindern. Trotzdem hat sich Partizipation bei Veränderungsprozessen in der Praxis grundsätzlich bewährt und gilt daher zu Recht als wesentlicher Erfolgsfaktor des Change Management. Technisch orientierter Ansatz Business Process Reengineering Wegen der Kritik an der Organisationsentwicklung und angesichts dynamischer und komplexer Marktentwicklungen (zum Beispiel veränderte Kundenbedürfnisse, technologi-