Der Kommunikationsexperte Hans-Uwe L. Köhler beobachtet zunehmende Angst bei Unternehmen und Führungskräften: Eine wachsende Unsicherheit darüber, wie man mit der Krise richtig umgehen soll, verhindert, dass Entscheider ihre mentale Balance behalten.
Für das, was aktuell auf dieser Welt geschieht, haben wir keine mentale Vorbereitung getroffen – vielleicht auch nicht treffen können oder wollen. Doch die Frage, wie die Welt sich auf eine Pandemie hätte vorbereiten können, wird zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert…
Früher konnte man sich in einer Situation wie jetzt vielleicht mit dem „Gottesurteil“ als Erklärungsmodell beruhigen, denn die Lösung aller Probleme läge hier im Ertragen und Aushalten, „Gott-steh-uns-bei“. Und es gibt heute noch genügend religiöse Richtungen und Denkschulen, die tatsächlich die Unabwendbarkeit des Schicksals für eine gültige Lebensmaxime halten. Ich bin nicht dieser Auffassung: Für mich bedeutet menschliches Sein „sich seiner selbst Bewusstsein“. Das ist die Lernaufgabe für jeden Lebensweg.
Der Umgang mit der Angst
Ich möchte Thema Angst offensiv und direkt ansprechen. Mich zum „Sprecher“ der Angst machen. Der Vorteil für meine Klienten und auch Sie in diesem Beitrag: Sie können sich das erst einmal aus einer ausreichenden Distanz anhören, ohne gleich zustimmen zu müssen – dafür ist immer noch Zeit. Und die kommt!
Gestehen wir uns selbst ein, dass wir Angst haben. Angst als solche hat eine größere Bandbreite, als wir es vermuten oder uns eingestehen wollen. Von völlig diffuser Angst („Keine Ahnung, wovor ich Angst habe – aber als Lebens-Schisser war das schon immer meine Grundstimmung – und jetzt erst recht“) bis hin zu reiner Todesangst („Ich werde sterben!“). So könnte man hier nicht Karl Valentin ins Feld führen: „Alle Menschen müssen sterben, ich wahrscheinlich auch!“ Das ist doch Humor, oder nicht?
Wahr ist, dass Menschen sich schon darüber im Klaren sind, dass sie sterben müssen. Aber doch nicht jetzt! Und doch nicht so! Das hatten wir uns alle doch ganz anders vorgestellt. Einspruch!
Doch ganz ehrlich gesprochen: Haben wir uns unseren Tod wirklich „vorgestellt“ oder uns eher etwas „vorgemacht“? Wir haben unseren Tod erträumt: Bei bester Gesundheit, im Kreise der Familie, nach einem guten Essen, mit einem Glas in der Hand und Gottes Segen (es muss ja deswegen kein Pastor dabeistehen) um dann ohne Schmerzen hinüberzugleiten. Wer will schon im Koma liegen, künstlich beatmet werden, einsam und anonym an einer Maschine hängen, um dann, von einem Gabelstapler getragen, in einem Kühlraum auf die Einäscherung zu warten?
Ich habe in meinem Buch „Hau eine Delle ins Universum“ tatsächlich meine eigene Todesanzeige veröffentlicht. Gut, dass konkrete Datum musste ich freilassen – aber eine Herausforderung war das schon. Was soll man eines Tages schließlich über uns schreiben oder lesen? Was wollen wir den Hinterblieben denn noch „nachrufen“? Kein Mensch wird seinen eigenen Nachruf je lesen.
Zurück in unser aktuelles Wirtschaftsleben.
Ich beginne meinen Angst-Dialog mit einer sehr direkten Empfehlung an Sie: Gestehen Sie sich selbst ein, dass Sie Angst haben. Wenn Sie das im Selbstgespräch machen wollen, dann reden Sie sich dabei mit Ihrem eigenen Vornamen an. Das tut zweifelsohne weh, befreit Sie aber. Der Vorteil: Ab hier müssen Sie sich und anderen nichts mehr vormachen!
Je erfolgreicher man bis jetzt war, umso schwieriger wird das Eingeständnis der Niederlage; erinnern Sie sich nur an Gerhard Schröder, als er nach der verlorenen Bundestagswahl Angela Merkel gegenübersaß und das Ergebnis der Wahlniederlage nicht eingestehen konnte!
Sich selbst seine Ratlosigkeit einzugestehen ist gewiss nicht einfach.
Denn auch noch so seriöse Nachrichtenportale wie ARD und ZDF werden trotz der Zahlen und Fakten keine Informationen liefern können, die uns unsere Angst nehmen. Dabei sind es doch gerade Entscheidungsträger wie Sie und ich gewohnt, mit Fakten und Zahlen umzugehen – und trotzdem bleibt in diesen Tagen nur ein die gelb-rote, tausendfach vergrößerte visuelle Darstellung des Virus als Orientierungspunkt über.
Man muss sich also selbst eingestehen, dass Ideen und Lösungen fehlen. Natürlich ist jeder Unternehmer bestrebt, alles zu tun, um sich und sein Unternehmen zu retten. Doch wie? Als Macher, Zupacker, und eben nicht als der vielgescholtene Unterlasser, haben wir Unternehmer bisher immer einen Weg gewusst. Aber dieses Mal?
Gerade erfolgreiche Unternehmer haben allergrößte Schwierigkeiten, diese Ratlosigkeit ihren Familien und den besten Freunden gegenüber einzugestehen! Dabei ist es häufig so, dass die Lebenspartner und selbst die eigenen Kinder schon längst wissen – oder zu mindestens erahnen – dass der „Chef“ am Ende seines Lateins ist. Allerdings: Wer das zugeben kann, wer von seinem Erfolgssockel heruntersteigen kann, den erwartet keine Häme, sondern Achtung, Zustimmung und vielleicht sogar Mitgefühl!
Die absolute Härteprüfung bestehen darin, sich dieses „Nicht-weiter-wissen“ vor seinen Konkurrenten einzugestehen! Interessant in diesem Zusammenhang ist der folgende Hinweis: Alkoholiker beginnen ihre Vorstellungsrunde bei den „Anonymen Alkoholikern“ mit dem Satz: „Ich heiße (Vorname) und ich bin Alkoholiker!“ und nicht mit der Begründung oder Erklärung was alles passiert ist und warum sie jetzt trinken und wie ungerecht das Leben doch ist!
Daher möchte ich Ihnen empfehlen, sich zur Klärung Ihrer Situation mit dem folgenden Fragen auseinanderzusetzen:
„Befinden Sie sich persönlich aktuell in Lebensgefahr?“
Wenn nicht, dann lohnt es sich doch in jedem Fall mit Freude weiterzuleben! Ich weise immer wieder gerne auf den altbekannten Satz hin: „Ich mache mir solche Sorgen!“ Genau: Wir machen uns die Sorgen selbst! Da kommt doch morgens kein Brief, auf dem steht: „Hallo, ich bin deine neue Sorge!“ Wir machen sie uns auf Grund der uns bekannten, von uns eingeschätzten Faktenlage. Blöd nur, dass wir längst nicht über alle Fakten verfügen. Die wichtigste Unklarheit verbindet sich mit zwei Fragen: Wie lange? Und dann, danach?
„Befindet sich Ihr Unternehmen in Lebensgefahr?“
Das ist manchmal schwer abzuschätzen. Der eine oder andere Unternehmer wird sich eingestehen müssen, dass diese Gefahr unmittelbar droht. Dann bleibt nur die Insolvenz. Der Wiederaufbau beginnt unmittelbar danach. Ist deswegen auch gleich das Leben in Gefahr? Vielleicht der Weinkeller, der Lebensstandard, die ganz persönliche Attitüde. Jetzt können Unternehmer mal zeigen, wie ernst es ihnen mit der Phrase „raus aus der Komfortzone“ ist. Der folgende Hinweis darf keinesfalls unterschlagen werden: „Niemand erwartet, dass Sie die möglichen Rücklagen komplett für die Rettung des Unternehmens opfern werden. Sie brauchen ein Minimum für den Neustart.“ Es sei jedoch davor gewarnt, zu „schleckern“ oder zu „adidassen“!
„Braucht irgendjemand das, was Sie liefern oder herstellen können, aktuell ganz dringend?“
Wenn ja, dann besteht kein Grund zu Panik. Gefährlich wird es allerdings, wenn es nur ein Traum ist, dass das, was das Unternehmen dem Markt anbietet, doch eigentlich ganz dringend gebraucht wird. Dabei sehen möglich Kunden das ganz anders. Dann wird es eng. Vielleicht wird jetzt rasend schnell deutlich, dass der Unternehmenszweck schon längst verloren gegangen ist, aber in dieser endgültigen Klarheit noch nicht auf dem Tisch der Entscheidung lag. Krisen führen zur Klärung: Das Feuer reinigt.
„Ab wann wären Sie mit Ihrem Unternehmen definitiv pleite?“
Das ist jetzt eine ziemlich einfache, aber dafür auch harte, Frage. Alle Zahlen auf den Tisch. Alles Wunschdenken an der Garderobe abgeben. Wenn keine Zeit für nichts mehr bleibt: Insolvenz. Wenn die Zeit knapp wird, sollte man eine rote Linie zeihen, bis zu der eine Lösung her muss. Und wenn keine Lösung, dann zumindest eine Entscheidung. Jetzt ist definitiv klar, wieviel Zeit zum Nachdenken – nicht zum Zögern – bleibt.
Wenn man in diesen Tagen erkennt, dass die Substanz bis zum Sommer reicht, dann muss man diese Zeit unbedingt nutzen! Bildet sich der Herbst als Zeithorizont ab, dann bleibt vielleicht noch die Gelegenheit für die Vorbereitung möglicher Kampagnen. Manche haben Glück und können das Jahr 2020 einfach abhaken. Das ist dann der „Lottogewinn“ wenn Sie so wollen.
„Was müssen Sie retten, was gerettet werden muss?“
Gibt es ein „Kapital“ das in der Zukunft einen Neustart rechtfertigt oder gar verdient? Wenn ja, dann gleich mehr bei der großen Idee.
„Was muss geopfert werden?“
Eine vielleicht bittere Fragestellung. Jeder Ballast muss weg, das ist noch nicht einmal ein Opfer. Oft sind es nur alte Gewohnheiten oder Überbleibsel oft aufgeschobener Entscheidungen, die nun endlich auf einen Impuls warten.
An dieser Stelle eine dringende Empfehlung: Für alle Ideen, die jetzt noch im Kopf sind, gilt: Vermeiden Sie schnelle und kleine Lösungen. Sie kennen das ja: Für jedes Problem auf dieser Welt gibt es eine Lösung: Schnell, einfach, sauber – und leider falsch! Suchen Sie jetzt lieber nach einer wirklich großen Idee! Sie haben doch Zeit!
Die-One-Million-Euro-Idee
Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie die folgende Überschrift: „Die-One-Million-Euro-Idee“. Suchen Sie eine Idee, die es Ihnen ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit eine wirklich attraktive Summe zu verdienen. Beginnen Sie nicht mit einer Begrenzung, das macht die Suche nicht einfacher. Lassen Sie Ihren Ideen freien Lauf, nur dann haben Sie eine Chance!
Noch einmal: wer sich jetzt keine Zeit nimmt, sein Unternehmen zu retten, der wird ohnehin die Reißleine ziehen, nach dem letzten Strohhalm greifen und sich definitiv ruinieren. Wer hingegen klug ist und aus dem ganzen Schlamassel gestärkt hervorgehen will, der braucht einerseits Gelassenheit, um langfristig, und andererseits Mut, um groß zu denken.
Vermeiden sollte man in jedem Fall die Fluchttür, durch die alle wollen. Denn da entsteht nur Panik. Haben Sie doch stattdessen eine schier verrückte Idee: In die gegenteilige Richtung aller anderen zu laufen, um dort nach dem „Goldenen Nugget“ zu suchen!
Was erwarten eigentlich die Mitarbeiter?
Die Mitarbeiter erwarten nicht, dass der Chef oder die Führungskraft den Weg in die Zukunft kennt. Die Mitarbeiter erwarten mit Recht, dass man bereit ist, den Weg in die Zukunft zu finden! Ihre Mitarbeiter akzeptieren, wenn Sie keine Antworten haben. Sie akzeptieren nicht, wenn Sie sich der Suche verweigern oder noch schlimmer mit der Worthülse agieren: Ich find schon was!
Jeder kluge Anführer geht nicht selbst voran, sondern hat Späher. Chefs müssen nicht den todesmutigen Helden geben. Es wäre aber eine Idee, nach Spähern Ausschau zu halten. Die findet man unter den nicht-angepassten Mitarbeitern und unter den kritischen Fragestellern zwischen den Kunden. Späher wissen nicht mehr als andere, sie sehen die Dinge nur anders. Ihre Aufmerksamkeit ist oft unerklärbar kompliziert, sie sehen und fühlen anders und sie denken anders als andere.
Angst ist ein schlechter Ratgeber – das ist ja nun wirklich eine der ältesten Binsenwahrheiten, die sich finden lässt. Doch wer lernt, mit der Angst klug umzugehen, Sie als Wachmacher zu sehen und zu nutzen, der erschreckt sich im günstigsten Fall rechtzeitig. Denn Trost gib es nicht – aber Hoffnung! Wie wäre es mit dem Text von Udo Lindenberg: „Hinterm Horizont geht’s weiter!“? So ziehe ich einen vorsichtigen Zwischenschluss, um die Gedanken zu sortieren und mit ein wenig Gelassenheit in die Zukunft, hinter den Horizont, zu schauen: „Vielleicht wird alles wieder gut – doch sicher wird alles wieder anders!“
Empfehlung
In diesem Interview mit Andreas Buhr beleuchtet Hans-Uwe L. Köhler nochmal die wichtigsten Aspekte im Umgang mit der Krise.
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